500 Tage vor der Eröffnung von Paris 2024


News Redaktion
Sport / 14.03.23 13:08

In 500 Tagen beginnen in Paris die Olympischen Sommerspiele - mit oder ohne Russen und Belarussen? Das ist die grosse Knacknuss für die Sportverbände.

Russlands Fechterinnen zeigen an den Olympischen Spielen 2021 ihre Medaillen - sind sie auch in Paris unter neutraler Flagge, aber in den russischen Nationalfarben dabei? (FOTO: KEYSTONE/EPA/DIEGO AZUBEL)
Russlands Fechterinnen zeigen an den Olympischen Spielen 2021 ihre Medaillen - sind sie auch in Paris unter neutraler Flagge, aber in den russischen Nationalfarben dabei? (FOTO: KEYSTONE/EPA/DIEGO AZUBEL)

Der Internationale Fechtverband (FEI) machte letzte Woche den Anfang. Er lässt russische und belarussische Athleten wieder zu seinen Wettkämpfen zu - "vorbehaltlich möglicher zukünftiger Empfehlungen/Entscheiden des IOC". Die Fechter waren unter Zugzwang, weil die Qualifikationsperiode für die Olympischen Spiele bereits am 3. April beginnt. Andere Verbände und das IOC werden sich dieser heiklen Frage aber schon bald auch stellen müssen.

Der Entscheid fiel mit 89 zu 46 Stimmen klar aus, zeigt aber auch eine grosse Opposition gegen die Reintegration (bela-)russischer Athleten in die Sportwelt. Swiss-Fencing stimmte "in Übereinstimmung mit Swiss Olympic" gegen die Rückkehr. Die Position des Schweizer Dachverbandes hat sich seit vergangenem Frühling nicht geändert, er spricht sich für einen Ausschluss der beiden Länder aus dem internationalen Sport aus.

500 Tage vor Beginn der Olympischen Spiele wird die Frage drängender, denn auch in anderen Sportarten beginnen in nächster Zeit Qualifikations-Wettkämpfe. Das IOC schwenkte in den letzten Monaten um und will "einen Weg suchen, sie in die Welt des Sports zurückzuholen". Nun laufen Konsultationen und Beratungen mit den Mitgliederverbänden und den 206 nationalen olympischen Komitees.

Die Tendenz scheint klar: In Europa und Nordamerika ist der Widerstand gegen die Rückkehr der Aggressoren im Ukraine-Krieg gross, für den Rest der Welt ist der Fall weniger aussergewöhnlich. "Es wird noch für lange Zeit Unsicherheit herrschen", mutmasste Jean-Loup Chappelet, ein Spezialist für die olympische Bewegung der Universität Lausanne gegenüber der französischen Nachrichtenagentur AFP.

Das IOC lädt die einzelnen olympischen Komitees zur Teilnahme ein, doch über die Selektionen der Sportler entscheiden die Verbände der einzelnen Sportarten. So wäre es möglich, dass zum Beispiel die Fechter, deren Verband von einem Russen präsidiert wird, in Paris am Start sein werden, die Leichtathleten, die wegen ihrer Dopingvergehen schon seit 2017 nur in Ausnahmefällen an Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen teilnehmen dürfen, aber nicht. Egal, wie das IOC oder die Verbände entscheiden, eine gute Lösung gibt es nicht.

Bleiben Russland und Belarus ausgeschlossen, werden Sportler einzig und allein aufgrund ihres Passes bestraft. Sollte der Krieg noch länger andauern, würden ganze Karrieren verhindert. Zudem werden auch solche ausgeschlossen, die sich gegen den Krieg geäussert haben wie zum Beispiel die Tennisspieler Daria Kassatkina und Andrej Rublew. Die britische Regierung schlug Wimbledon im letzten Sommer vor, russische Spieler zuzulassen, die eine Deklaration gegen den Krieg unterschrieben. Wer jedoch Familie in Russland hat, würde diese und sich selber aber wohl in reale Gefahr bringen.

Vor allem ausserhalb Europas gibt es auch viele Stimmen, die einwenden, auf ihren Kontinenten habe es in der Vergangenheit auch Kriege gegeben, ohne dass ein Land ausgeschlossen wurde. Für sie ist der Krieg in der Ukraine relativ weit weg.

Auf der anderen Seite würde die Rückkehr Russlands und Belarus' natürlich eine ganze Reihe von Fragen aufwerfen. Mancher russischer Sportler und vor allem auch Funktionär hat sich offen für den Angriffskrieg ausgesprochen. Es wäre schwer vorstellbar, dass ein solcher Athlet am Ende einen Olympiasieg bejubelt. Auch muss es für ukrainische Sportler wohl fast unerträglich sein, gegen so jemanden anzutreten.

Das IOC wird sich auch damit auseinandersetzen müssen, wie es mit möglichen Protest- und Solidaritätsbezeugungen umgehen will. Dürfen Ukrainer oder andere Nationalitäten ihre Unterstützung für das angegriffene Land zum Ausdruck bringen? Was ist, wenn ein Russe oder ein Sportler aus einem Russland freundlich gesinnten Land dasselbe tun will?

Weiter stellt sich die Dopingfrage. Seit einem Jahr waren unabhängige Kontrollen in Russland und Belarus nicht mehr möglich, auch bei internationalen Wettkämpfen wurden deren Sportler nie mehr getestet.

Am Beispiel der Fechter zeigt sich auch ein drohendes, wettbewerbsverzerrendes Chaos. Sollten die Russen später doch wieder ausgeschlossen werden, wären Teams und Fechter, die in einem Tableau früh gegen die Russen antreten mussten und verloren, deutlich benachteiligt gegenüber solchen, die zum Beispiel erst im Halbfinal oder Final gegen diese verloren.

Auch dürfte es verschiedene Länder geben, die Russen keine Einreisevisa erteilen. Die Europameisterschaft findet in Polen statt, das derzeit keine Russen einreisen lässt. Wird die EM nun verlegt oder können die Russen nicht teilnehmen und was bedeutet das für die Qualifikationspunkte?

Auf das IOC warten also einige Knacknüsse. Sollte das vorher nicht sowieso schon klar gewesen sein: Sport und Politik lassen sich nicht trennen.

(sda)


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