Ein Rekord ohne gezielte Rekordjagd


News Redaktion
Sport / 10.03.23 15:39

Mikaela Shiffrin ist auch nach Weltcup-Siegen Spitze. Die Einstellung von Ingemar Stenmarks Bestmarke basiert nicht auf inszenierter Rekordjagd. Sie ist das Produkt einer aussergewöhnlichen Karriere.

Mikaela Shiffrin jubelt nach ihrem hinstorischen 86. Sieg im Weltcup (FOTO: KEYSTONE/AP/Alessandro Trovati)
Mikaela Shiffrin jubelt nach ihrem hinstorischen 86. Sieg im Weltcup (FOTO: KEYSTONE/AP/Alessandro Trovati)

Wo Lindsey Vonn war, war Brimborium nicht weit. Die stets um Aufmerksamkeit bemühte Amerikanerin hatte das Tamtam um Stenmarks Rekord schon vor langer Zeit losgetreten. Sie, die so gerne Mittelpunkt war, hatte die 86 Siege als ihr allergrösstes Ziel definiert. Die Hatz auf die Bestmarke war auch medienmässig gross aufgezogen. Der Spartensender Eurosport lancierte vor sechs Jahren eine mehrteilige Dokumentation mit dem Titel "Chasing History".

"Rekorde sind mir wichtig", hatte Lindsey Vonn immer betont. Sie war nahe dran, musste aber kurz vor der Vollendung ihres Traums kapitulieren. Ihr geschundener Körper liess sie auf der Zielgeraden scheitern. Vor vier Jahren an den Weltmeisterschaften in Are trat sie zurück - mit 82 Weltcup-Siegen und natürlich mit dem für sie typischen Theater drum herum.

Zu den Geladenen in Schweden gehörte damals selbstverständlich der mittlerweile bald 67-jährige Stenmark. Der ruhige Schwede war 30 Jahre nach seinem letzten Weltcup-Sieg unverhofft mittendrin. Er war mehr in das ganze Prozedere involviert, als ihm lieb war. Der Schweiger aus dem Norden, der die Auftritte abseits der Rennpisten als lästige Pflichtaufgabe sah, der lieber lieferte statt laferte, hatte Stellung zu beziehen.

Stenmark war herausgerissen aus der Abgeschiedenheit seines Heimat- und Wohnortes Tärnaby, diesem Kaff am Polarkreis mit rund 600 Einwohnern und etlichen Skiliften. Stenmark, der Grösste seiner Zeit, hielt sich nie für etwas Besonderes, schon gar nicht wegen diesen 86 Weltcup-Siegen.

Es gab ja auch nichts zu berichten über ihn und diesen Rekord, der unantastbar schien, geschaffen für die Ewigkeit. 86 Weltcup-Siege - eine nicht für möglich gehaltene Zahl, in den Statistiken vermerkt, für ihn eine Zahl als Beleg einer grossartigen Karriere. Das war gut so für Stenmark.

Stenmark hatte in Are natürlich auch Fragen zu Mikaela Shiffrin zu beantworten, zu deren Möglichkeiten, ihn dereinst zu übertrumpfen. Zweifel hatte er keine. Für ihn stand nicht im Vordergrund, ob, sondern wann die Amerikanerin bei den 86 Siegen angelangt sein würde. Er traue ihr auch 100 Siege oder noch mehr zu, sagte er auch noch.

Vier Jahre später war es nun soweit, sinnigerweise in Are. Unter normalen Umständen wäre es wohl schon um einiges früher der Fall gewesen, ohne die Tragödie mit dem Unfalltod von Mikaela Shiffrins Vaters Jeff. Der Schicksalsschlag hatte bei der Seriensiegerin vieles in Frage gestellt. Die Welt war für sie von jenem Moment weg eine andere.

Doch Mikaela Shiffrin fing sich. In ihrem beruflichen Alltag fand sie zurück in die Spur, auch dank der Zusammenarbeit mit einem Sportpsychologen. Sie hatte die bisher schwierigste Prüfung bestanden, als Mensch und als Skirennfahrerin. Auch der sprichwörtliche Totalausfall an den Olympischen Spielen in Peking konnte ihr nichts anhaben - auch wenn es während der Zeit in China Zweifel und Verzweiflung gab.

Die am Montag 28 Jahre alt werdende Mikaela Shiffrin fährt wieder stark, womöglich so stark wie nie zuvor. Sie bewegt sich wieder weit über den anderen, reiht Sieg an Sieg, zwölf erste Plätze im Weltcup sind es allein in diesem Winter. Dazu kommen Gold und zweimal Silber an den Weltmeisterschaften in Méribel.

Mikaela Shiffrin hat das geschafft, was ihrer Landsfrau verwehrt geblieben war. Sie schwang sich auf Stenmarks Höhe womöglich auch, weil sie diesen Rekord nie in den Vordergrund stellte, weil sie sich nie an Resultaten, sondern an der eigenen Leistung orientierte. Sie richtete ihre Planung nicht auf diese Bestmarke aus. Sie betrachtete von Anfang an ihre Karriere als das grosse Ganze. Diese Weitsicht stand auch am Ursprung des Weges weg von der Slalom-Spezialistin hin zur Allrounderin.

Im Gegensatz zu Lindsey Vonn lässt Mikaela Shiffrin in ihrem Wettkampfkalender Vernunft walten. Es hat alles Hand und Fuss, den Verzicht auf den einen oder anderen Start eingeschlossen. Sie handelt, wie sie fährt. Sie beschränkt sich auf das, was Sinn macht. Die Termingestaltung hat auch Vorbeugendes. Es ist wohl kein Zufall, dass Mikaela Shiffrin seit ihrem Eintritt in den Weltcup vor zwölf Jahren von gravierenden Verletzungen verschont geblieben ist.

Bald wird Mikaela Shiffrin in der Rekordliste die alleinige Führende sein, da gibt es keine Zweifel. Vielleicht wird das schon am Samstag nach dem Slalom in Are der Fall sein, vielleicht beim Weltcup-Abschluss in der nächsten Woche in Soldeu in Andorra, womöglich aber auch erst in der nächsten Saison.

Dannzumal wird sich ein weiteres Mal alles um Mikaela Shiffrin drehen. Sie wird die Aufmerksamkeit zu schätzen, aber auch richtig einzuschätzen wissen. Das grosse Brimborium wirds mit Sicherheit nicht geben.

(sda)


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