An einem Holztisch im mittleren Sägemehlring der Arena Utzenstorf, auf dem er am Sonntag hätte schwingen sollen und vielleicht den Schlussgang hätte bestreiten können, konnte Matthias Sempach am Freitagmittag die Tränen nur mit Mühe und Not zurückhalten. In bewegenden Worten machte der Emmentaler verständlich, dass sein Körper es ihm verbietet, den geliebten Schwingsport weiter auszuüben. Eine Woche vorher hatte sich in einer Untersuchung im Berner Inselspital herausgestellt, dass Sempach nicht nur im Lendenbereich, sondern auch zwischen zwei Halswirbeln einen Bandscheibenvorfall erlitten hatte.
"Ich fragte die Ärzte, was sie davon hielten, wenn ich die Karriere fortsetzen würde. Sie rieten mir ab", sagte Sempach. Damit war für ihn der Fall klar. Er wollte seine Gesundheit nicht für das Schwingen aufs Spiel setzen. Mit der lädierten Wirbelsäule hätte bei der unablässig hohen Belastung sogar eine Lähmung drohen können."
Wäre er gesund geblieben, hätte Sempach auf jeden Fall bis August 2019, bis zum Eidgenössischen Fest in Zug, weitergefahren. Auch die Titelverteidigung am nachfolgenden Kilchberger Schwinget wäre eines seiner letzten Ziele gewesen. Jetzt aber hört er abrupt und ganz auf. An den beiden verbleibenden Höhepunkten dieser Saison, also am Berner Kantonalfest am Sonntag und am Bergkranzfest auf der Schwägalp am 19. August, wird man ihn bereits nicht mehr an der Arbeit sehen.
In der bitteren Stunde des Rücktritts dachte Matthias Sempach auch an seine nächsten Angehörigen. "In all den Jahren haben sie ihr Leben meistens nach mir ausgerichtet, damit ich schwingen konnte. In Zukunft wird es auch einmal umgekehrt sein dürfen." Heute ist er mit seiner Karriere sehr zufrieden. "Wenn ich zurückdenke, würde ich wohl kaum etwas anders machen."
Nicht nur die laufende, auch die vergangene Saison war für den Schwinger aus dem nördlichsten Teil des Emmentals unerfreulich. Am Berner Kantonalfest in Affoltern vom 9. Juli 2017 verletzte er sich am Oberschenkel. Erst wenige Tage vor dem Saisonhöhepunkt, dem Unspunnenfest von Ende August in Interlaken, konnte er wieder normal trainieren und schwingen. Er hatte aber bei weitem noch nicht die gewohnte Stärke erreicht, sodass er nicht um einen Spitzenplatz mitschwingen konnte. Sempach beendete diesen Wettkampf mit eidgenössischem Charakter im 6. - nach aufgeschlüsselten Platzierungen im 17. - Rang.
Als er im besten Alter frei von Verletzungen schwingen konnte, war Sempach oftmals schier unbezwingbar. Am beeindruckendsten war der Auftritt am Eidgenössischen Fest 2013 in Burgdorf. Auf dem Weg zum Königstitel bettete er - wir es drei Jahre vorher Kilian Wenger getan hatte - alle acht Gegner ins Sägemehl, zuletzt Matthias Glarner und im Schlussgang Christian Stucki.
Zwölf Monate später war Matthias Sempach auch am Kilchberger Schwinget unanfechtbar. Nach einem Gestellten zum Auftakt gegen Andreas Ulrich bodigte er fünf weitere Eidgenossen, unter ihnen Philipp Laimbacher im Schlussgang.
2010, mit 24 Jahren, wäre Sempach in Frauenfeld schon reif gewesen, um erstmals Schwingerkönig zu werden. Aber eine überraschende, nach dem Kampfverlauf eher zufällige Niederlage gegen den Appenzeller Michael Bless kostete ihn letztlich zu viele Punkte.
Am Schluss der Karriere kann Sempach ein eindrucksvolles Palmarès mit 106 Kränzen vorzeigen. Er gewann 36 Kranzfeste, darunter neun Bergkranzfeste und fünf Teilverbandsfeste. Den eidgenössischen Kranz sicherte er sich erstmals 2007 in Aarau und danach drei weitere Male.
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(sda / Central Redaktion)