Molkerei-Chef in Italien stellt nur Mitarbeiter über 60 ein
Für ein neues Projekt suchte Brazzale vor einiger Zeit Angestellte. Neben den traditionellen Produkten wie der klassischen Butter und den Käsesorten Mozzarella, Grana Padano oder Scamorza wollte er spezielle Feinschmecker-Butterprodukte vermarkten. Tatsächlich habe er dafür auch einige, die um die 30 sind, zum Probearbeiten vor Ort gehabt. Allerdings mit enttäuschenden Ergebnissen: Ihnen hätten Tatkraft und Energie gefehlt, sagt er. Die Jobs haben deswegen letztlich nur acht Männer und Frauen ab 60 Jahren aufwärts erhalten.
«Für mich sind sie alle irgendwie jung, denn das Alter zählt nichts im Vergleich zum Enthusiasmus und auch zur Energie, die man mit über 60 Jahren noch haben kann», sagt Brazzale im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Er führt das für Butter und Käse bekannte Traditionsunternehmen in Zanè in der norditalienischen Region Venetien.
Seine Entscheidung habe er nie bereut. Im Gegenteil: Seine neuen Mitarbeiter bringen viel Energie, Leidenschaft und vor allem Erfahrung mit. «Sie haben eine ganz andere Erfahrung als die Jungen. Sie haben verstanden, wie wichtig die Arbeit ist. Wenn man jung ist, versteht man das nicht - man versteht es erst später», so Brazzale, der selbst Anfang 60 ist.
Bei seinen Neuen handelt es sich grösstenteils um alte Bekannte und Freunde, die sich allesamt entweder aus der Schulzeit oder - typisch italienisch - von der zentralen Piazza der 6000-Einwohner-Gemeinde Zanè in Venetien kennen. Nach der Jugendzeit hatten sie andere Wege eingeschlagen. Sandro etwa war als Goldhändler tätig, Sonia führte mit ihrem Ehemann lange Zeit ein Restaurant.
«Wir sind alle Freunde und kennen uns gut», betont Brazzale. «Deswegen herrscht auch ein stärkerer Teamgeist.» Heute kümmert sich das Ü60-Team am Hauptstandort in Zanè um die Vermarktung von speziellen Buttersorten. Ugo ist etwa mit einem Foodtruck unterwegs und Sonia, mit der Brazzale früher gerne die Schule schwänzte, kümmert sich um die Verwaltung.
Ideal einer kinderreichen Familie hat sich überholt.
Was auf den ersten Blick kurios wirkt, hat jedoch einen ernsten Hintergrund. Der demografische Wandel belastet Italien und die Einwohnerzahl schrumpft. Aktuelle Daten der Statistikbehörde Istat haben es in sich: Die Geburten fielen erstmals seit Beginn der Aufzeichnungen im 19. Jahrhundert unter die Schwelle von 400 000 und liegen jetzt bei knapp 393 000 im Jahr 2022. Italien hat einfach immer weniger «bambini» - obendrein wird die Bevölkerung immer älter. Das Ideal einer kinderreichen Familie hat sich in Italien inzwischen überholt.
Über die niedrige Geburtenrate in Italien und ganz Europa zeigte sich sogar Papst Franziskus besorgt. Er beklagte vor einiger Zeit eine Kultur, die Haustiere über menschliche Kinder stelle. Franziskus berichtete von einer Frau, die ihren Hund - ihr «Baby» - von ihm segnen lassen wollte. «Ich hatte keine Geduld und schimpfte mit der Frau», sagte der Pontifex. Tatsächlich gilt Italien als Land der Haustiere. Auch die rechte Regierung Italiens will sich des Problems annehmen. Seit mehr als einem Jahr gibt es sogar eine «Geburtenministerin».
Konkret bedeuten die Istat-Zahlen: sieben Neugeborene, aber mehr als zwölf Todesfälle pro 1000 Einwohner. Dieser Trend wird auf Dauer die Wirtschaft stark belasten. Überhaupt ist die italienische Bevölkerungszahl seit 2014 stetig zurückgegangen. Italien schafft es inzwischen nicht einmal mehr über die 60-Millionen-Marke. Erste Folgen sind in Schulen und Kindergärten zu spüren, in denen immer weniger Kinder sind. Der Bildungsminister warnte, dass die Zahl der Schüler im kommenden Jahrzehnt um eine Million schrumpfen werde.
All das macht auch Brazzale als Unternehmer Sorgen. Nach seinen Worten hat sich aber auch einiges mit Blick auf das Selbstverständnis der Älteren verändert. «Es hat sich das Vorurteil herausgebildet, dass man mit 60 nichts mehr zu sagen hat. Oder sogar, dass man in diesem Alter nur noch in die Rente gehen will. Das ist nicht wahr.» Die heutigen 60er seien die neuen 40er, lautet einer seiner markigen Sprüche.
Brazzale ist von seinen gleichaltrigen Mitarbeitern begeistert. Und er wird nicht müde zu betonen, dass er kaum junge Leute kenne, die so viel schafften wie sein Ü60-Team. Doch: Wie es in einigen Jahren weitergehen soll, wenn einige seiner Angestellten dann doch in Rente gehen, weiss auch Brazzale nicht. Für den Moment läuft das Geschäft jedenfalls gut. Er sagt: Seine Mitarbeiter seien einfach «bravissimi».