Meshell Ndegeocello peppt in Willisau LU alte Standards auf
Hoffentlich findet Meshell Ndegepcello rechtzeitig nach Willisau. Denn auf ihrer Homepage ist das Konzert vom 2. September in Hergiswil angekündigt (nicht so schlimm, wenn jenes am Napf gemeint ist, und nicht das in Nidwalden). Ihr Konzert ist zweifellos eines der zugkräftigsten des diesjährigen Festivals.
Die 55-jährige amerikanische Multiinstrumentalistin, geboren als Michelle Lynn Johnson, legte sich schon früh einen Künstlernamen in der Suhaeli-Sprache zu, der «frei wie ein Vogel» bedeutet. Auf ihrem ersten Album gab es noch einen Sticker zur Aussprache (ən-DAY-gay-oh-CHEL-oh). Frei wie ein Vogel bewegt die Musikerin sich auch durch die Stile von Jazz über Funk und Soul bis zur Hip Hop und Rock, grundiert von einem rebellischen Geist.
Diese fluide musikalische Ausrichtung spiegelt auch ihre Queerness – Ndegeocello musste sich als Frau, als Schwarze und als Bisexuelle durchsetzen. Das prägte sie, und deshalb lässt sie sich ungern in enge Schubladen einsperren. Daher wohl auch ihr Statement gegenüber der «Zeit», sie spiele spirituellen Jazz, den man aber bitte nicht so nennen möge. Dem «Guardian» wiederum vertraute sie an, dass Fragen über sexuelle Orientierung und Gender sie mittlerweile ermüden.
Musikalisch bleibt sie dennoch hellwach. Das zeigt sich auf ihrem neuen Album («The Omnichord Real Book»). Ausgangspunkt war ein Buch mit Liedern, Standards, das sie von ihrem Vater – einem Saxofonisten («a super sort of conservative jazz head») erhielt. Das Album ist eine Hommage an den Vater, dessen als ziemlich limitiert empfundende Songs sie allerdings auf eigenwillige Art aneignet und interpretiert und deren Lücken sie ausfüllt. «Ich wollte mit Rhythmen und Harmonien experimentieren.» Dabei saugt sie die unterschiedlichsten Stile wie ein Schwamm auf. «Ich denke, es gibt nichts Neues unter der Sonne. Ich mache nichts Neues.» Doch gehe es ihr um eine Musik ohne einengende Kriterien.
Urs Blöchlinger – neu gehört, neu gespielt
Ebenfalls um eine Hommage an einen Vater geht es beim Projekt «Urs Blöchlinger Revisited» (30. August). Der Saxofonist Urs Blöchlinger gehörte zu den kreativsten, erfrischendsten und inspirierendsten Musikern des Schweizer Jazzszene, bevor er sich 1995 das Leben nahm. Der Musiker litt unter einer manisch-depressiven Erkrankung – wobei in der Öffentlichkeit vor allem die euphorische Seite zum Ausdruck kam.
Lino Blöchlinger war sechs Jahr alt, als sein Vater aus dem Leben schied. Der Bezug zu ihm nach seinem Tod sei schwierig gewesen, sagt er im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Er ging auf Distanz. Vertraut mit seiner Musik wurde er erst, als der Schlagzeuger Dieter Ulrich ihm die umfangreiche Diskothek des Vaters geschenkt habe. Wenn er jetzt dessen Stücke spiele, auch er ein Saxofonist, habe das etwas Versöhnliches, ein «Hinter-sich-lassen». Jetzt, wo er ein gutes Stück auf eigenem Weg gegangen sei, «darf ich auch seine Stücke spielen».
Doch wie spielt man Blöchlinger-Stücke aus den 1980er Jahren? Eine Neuinterpretation sei schwierig, sagt Lino Blöchlinger. Es handle sich um sehr genaue Kompositionen, in langen Räumen gedacht, suitenartig. Improvisationen seien durch die Konzepte eingeschränkt. In diesem Sinne sei es ein Nachspielen.
«Aber», fügt Lino Blöchlinger sogleich an, «wir leben in einer andern Zeit. Es ist gar nicht möglich, heute gleich zu spielen wie damals.» Auch Christoph Baumann und Dieter Ulrich, die mit dem Vater gespielt hatten und beim Projekt dabei sind, haben sich verändert. Verändert haben sich sodann die Klangmöglichkeiten, das Bewusstsein der Musiker, die Hörgewohnheiten. Und selbstverständlich bringen die jungen Musiker (Sebastian Strinning, Josephine Nagorsnik, Silvan Schmid, Neal Davis) eine andere Haltung in die Musik. «Das Spiel ist jetzt punkiger, wilder.»
Urs Blöchlinger Revisited zeigt so – neben einem punktuellen Highlight wie Ndegeocello – exemplarisch Kontinuität und Weiterentwicklung des Willisauer Festivals. Zwölf Mal ist Urs Blöchlinger in Willisau aufgetreten, erstmals 1982. Vier Jahrzehnte später nun kommt es zu einem späten Echo, und es wird sich zeigen, wie aktuell seine Musik geblieben ist und wie sie sich heute interpretieren lässt.
Dass dabei Musiker der Generation von Urs Blöchlinger mit jungen Kräften in Interaktion treten, ist ein schönes Beispiel von Zusammenarbeit und Revision. Denn – wie sagt es doch Meshell Ndegeocello: «... es gibt nichts Neues unter der Sonne.» Aber die Interpretation einfach unverändert übernehmen und wiederholen, geht auch nicht. Vitalität verlangt nach steter Erneuerung. Und hier treffen sich die Vorstellungen der schwarzen Musikerin aus den USA und des Blöchlinger-Septetts aus der Schweiz.