«Stoppen kann ich mich nur selber, niemand sonst»
Für die Nachrichtenagentur Keystone-SDA streift der künftige SFV-Rekordmann durch seinen internationalen Parcours und ordnet ein.
Grosse Trainernamen, fünf Endrunden, unvergessliche Wenden, dramatische Niederlagen, grosse Emotionen – der frühere U17-Weltmeister verbindet mit dem Nationalteam unzählige prägende Momente. Das EM-Duell mit seinem Bruder Taulant ist für ihn «etwas vom Eindrücklichsten meiner ganzen Laufbahn».
Die grosse Wende gegen Frankreich an der letzten Euro sei unvergesslich, sagt Granit Xhaka. Und genug hat er noch lange nicht: «Ob ich die 150er-Marke knacken kann? Hoffentlich doch. Ich werde alles dafür tun.»
Granit Xhaka, das emotionale Debüt als 18-Jähriger im legendären Wembley vor gigantischer Kulisse. Was ist geblieben?
«Vieles ist geblieben, sehr vieles. Ich kann mich an den Moment erinnern, als Ottmar Hitzfeld fragte: ‹Willst du spielen?› Ich zögerte nicht lange mit der Antwort: ‹Jawohl, deshalb bin ich mitgeflogen.› Die Hymne, gegen 95'000 Zuschauer im Stadion – da war ich plötzlich nervöser, als ich es für möglich gehalten hätte. Es war unbeschreiblich. Man träumt davon, irgendwann einmal A-Nationalspieler zu werden. An jenem Tag war ich einfach unheimlich stolz auf mich selber. Meine Karriere bekam dort einen unfassbaren Push.»
Ottmar Hitzfeld gab Ihnen die Chance. Einer der besten und grössten Coaches Ihrer Laufbahn?
«Er schenkte mir Vertrauen. Er war ein Gentleman, ein Monsieur, zusammen mit Arsène Wenger vielleicht einer der grössten Coaches der Geschichte. Menschlich überzeugte mich Hitzfeld total. Wie er die Spieler mit Respekt behandelt hat, werde ich nicht vergessen. Ich habe die Zusammenarbeit mit ihm sehr geschätzt, seine ruhige Art. Er hat sein Wort immer gehalten. Von ihm kann ich ganz viel mitnehmen für die weitere Zukunft.»
Sie haben bereits fünf Endrunden bestritten. Welches Turnier ist besonders in Erinnerung geblieben?
«Das Turnier in Brasilien ist mein Highlight – mein erstes Turnier mit der A-Nationalmannschaft. Das unfassbar gute Spiel gegen Argentinien. Wir können stolz darauf sein, was wir gegen diese Mannschaft geleistet haben, wie wir gelitten haben. Erst kurz vor Schluss steckten wir das Tor ein, dann vergab Blerim Dzemaili noch die Chance zum Ausgleich. Dass ich für die Schweiz bisher fünf Endrunden in Serie spielen durfte, ist traumhaft. Das ist gemessen an der Grösse der Schweiz alles andere als selbstverständlich.»
Welche waren die schwierigsten Momente im Nationalteam? Die Spiele gegen Serbien?
«Was heisst schon schwierig? In den Duellen mit Serbien steckten für mich wegen meiner eigenen Geschichte immer viel Emotionen drin. Aber so richtige Schwierigkeiten habe ich im Zusammenhang mit der Nationalmannschaft nicht im Kopf. Ich finde, es ging tendenziell eher mehr auf- als abwärts.»
Ihre emotionalste Partie? Jene gegen den eigenen Bruder Taulant an der EM 2016?
«Das war für mich eines der grössten Highlights meiner Nationalteam-Karriere. Für mich, für meinen Bruder, für meine ganze Familie, für meine Eltern. Dass zwei Kinder an einer EM spielen, dass sie sogar gegeneinander antreten für verschiedene Auswahlen, das kann ich kaum mit Worten beschreiben. Das zu erleben war für mich etwas vom Eindrücklichsten meiner ganzen Laufbahn.»
Der schönste Sieg? An der EM 2021 gegen den Titelfavoriten Frankreich? Kann man diese Affiche als Jahrhundertspiel bezeichnen?
«Auf jeden Fall der Erfolg gegen Frankreich. Niemand hätte das erwartet, niemand – ausser wir innerhalb der Mannschaft. Der Spielverlauf war verrückt. Wir hatten die erste Halbzeit im Griff, wir führten, wir hätten mit einem Penalty auf 2:0 erhöhen können. Innerhalb von 15 Minuten liessen wir drei Gegentore zu. Dann begannen sie, auf dem Platz zu tanzen, lockere Pässchen zu schlagen, da eine Finte zu machen, dort einen Haken. Wir waren eigentlich k.o. Aber mit ihren Mätzchen und Provokationen holten sie uns zurück ins Spiel. Ein solches Comeback hat man auf EM-Ebene selten gesehen.»
Der schlimmste Moment? Der Penalty-Fehlschuss gegen die Polen nach einem zuvor überragenden Spiel?
«Das Out gegen die Polen empfand ich als schlimm. Nicht wegen des Penaltys, sondern wegen des Verlaufs dieser Partie. Nach dem Ausgleich zum 1:1 haben wir sie eigentlich an die Wand gespielt. Chancen über Chancen, aber kein Ball ging rein. Es war ärgerlich, so auszuscheiden. Wir hätten 3:1, 4:1 oder sogar 5:1 gewinnen müssen.»
Nun werden Sie die ewige Rekordmarke von Heinz Hermann einstellen. Das 118. Länderspiel steht am Sonntag gegen Weissrussland an. Eine XXL-Marke. Was steckt an Bedeutung hinter dieser Zahl?
«Diese Zahl kann ich noch gar nicht richtig begreifen. Es gab um mich schon so viele Schlagzeilen: kein Schweizer, dies und das. Aber wenn ich 118 Länderspiele habe und später dann auch noch zum alleinigen Rekordspieler werde, dann braucht die Debatte niemand mehr anzetteln, ich sei zu wenig stolz auf die Schweiz, ich würde deswegen die Hymne nicht singen. Im Gegenteil: Da steckt brutal viel Leidenschaft dahinter, Stolz und eine Menge Arbeit.»
Wie lange geht es weiter? Bis zur WM 2026? Fällt dereinst sogar einmal die 150er-Marke? Der ewige Granit? Was muss stimmen, damit Sie weitermachen?
«Ich veröffentliche kein Ablaufdatum. Wenn es nach mir ginge, mache ich auch nach 2026 weiter. Wenn ich gesund bleibe, wenn ich hungrig bin, dann ist noch lange nicht Schluss. Ob ich die 150er-Marke knacken kann? Hoffentlich doch, ich werde alles dafür tun. Stoppen kann ich mich nur selber, niemand sonst. Ich werde alles unternehmen und hart arbeiten, auch diese Marke noch zu schaffen.»