Die Autorin Zora des Buono auf der Suche nach zwei Unbekannten
Zora del Buono war acht Monate alt, als ihr Vater 1963 bei einem Autounfall ums Leben kam. Er war 33 Jahre alt, ein italienischer Arzt mit Aussicht auf eine glänzende Karriere an der Universität Zürich. Beim Kleinkind hinterliess der tragische Unfall keine Wunde. Erst später sollte die Leerstelle, die ihr Vater in ihrem Leben ist, zu schmerzen beginnen.
«Es war schön, mit Mama allein zu sein», schreibt sie in «Seinetwegen». Weder für das Kind noch für sie als junge Frau war die Vaterlosigkeit eine Belastung. Sie kannte ihn ja gar nicht. Zudem schien die Mutter mit der Situation gut zurecht zu kommen; sie hat nicht wieder geheiratet und ist ihren eigenen beruflichen Weg gegangen.
Uznach, Näfels, Kaltbrunn
Allmählich entfalten die drei «schlimmen Wörter» Uznach, Näfels, Kaltbrunn bei der Autorin aber Wirkung. In ihnen hallt der Tod des Vaters nach. Die fehlende Erinnerung an ihn und die fortschreitende Demenz der Mutter lösen bei Zora del Buono den Wunsch aus, den Umständen des Unfalls genauer auf den Grund zu gehen. Vor allem will sie wissen, wer der «Töter» ihres Vater ist. Sie kennt lediglich seine Initialen E.T. aus den Akten.
Der Band «Seinetwegen» ist das Protokoll einer sehr persönlichen Recherche. Nach und nach verwebt Zora del Buono Erkenntnisse und Assoziationen zu einer facettenreichen, vielschichtigen Collage, in der sich zentrale Fragen herauskristallisieren. Was heisst es, vaterlos aufzuwachsen? Wie lebt es sich mit der Schuld, einen Menschen auf dem Gewissen zu haben?
Die Autorin verfolgt gesellschaftliche, familiäre und persönliche Spuren. Mal gezielt, mal beiläufig fährt sie in die Gegend von Uznach, Näfels, Kaltbrunn, um den Tatort zu sehen, Akten zu suchen, sich umzuhören und darüber zu mutmassen, wo und wie der ihr unbekannte E.T. gelebt haben könnte.
Netz von Verbindungen
Bei ihrer Suche stösst Zora del Buono auf seltsame Zufälle. Auf einmal häufen sich im eigenen Umfeld tragische Unfälle und Vaterlosigkeit. Und bei ihrer Lektüre von «Tagebuch der Trauer» des Philosophen Roland Barthes entdeckt sie, dass auch dieser vaterlos aufgewachsen war; Barthes starb übrigens 1980, nachdem er in Paris von einem Milchlaster angefahren worden war.
Der Titel «Seinetwegen» reagiert auf ein ganzes Fragebündel. Zora del Buono entdeckt dabei auch die «eigenen Deformationen», die der frühe Tod ihres Vaters bei ihr trotz allem hinterlassen hat: eine «seltsame Gefühlskälte gegenüber klagenden, trauernden Verlassenen» oder das «solitäre Dasein».
Ihr essayistisch gefärbtes Buch überzeugt durch eine berührende Intimität und eine wache Neugier, mit der Zora del Buono die persönliche Geschichte in grössere gesellschaftliche Zusammenhänge stellt. Nach und nach klärt sich auch das Bild von E.T., der inzwischen verstorben ist. Nichts war genau so, wie es kolportiert wurde. Die neuen Aspekte machen nichts ungeschehen, nur besser verstehbar, vielleicht.