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Bill Belichick und die Demontage einer Trainerlegende

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Bill Belichick und die Demontage einer Trainerlegende

20. Dezember 2023, 05:00 Uhr
Bill Belichick, seit 24 Jahren Trainer der New England Patriots, schaut grimmig
© KEYSTONE/DPA/FEDERICO GAMBARINI
Startrainer Bill Belichick dürfte bei den New England Patriots keine Zukunft mehr haben. Der Niedergang der erfolgreichsten Dynastie dieses Jahrhunderts im nordamerikanischen Sport ist atemberaubend.

Wie erklärt man dem am meisten dekorierten Coach der Football-Geschichte, dass seine Zeit abgelaufen ist? Das ist die Frage, die im Moment die Sportfans in ganz Amerika umtreibt. Mit 71 Jahren ist der stets grummelige, sechsfache Super-Bowl-Champion ein Auslaufmodell.

Wer Belichick, den ebenso bewunderten wie ausserhalb Bostons verhassten Kapuzenpulliträger, dieser Tage hilflos an der Seitenlinie stehen sieht, empfindet aber unweigerlich eine Mischung aus Schadenfreude und Mitgefühl. Nur gerade drei von elf Partien haben die einst erfolgsverwöhnten Patriots in diesem Jahr gewonnen - das ist die zweitschlechteste Bilanz aller Teams. Es droht die mieseste Saison seit 1992 und natürlich in der 24-jährigen Ära Belichick.

Wie weiter mit Belichick?

Das Schlimmste: Die Patriots sind offensiv derart harmlos, dass ihre Spiele von den TV-Anstalten und der Liga an weniger prominente Sendeplätze verschoben werden. Und Belichick scheint selber den Glauben an sein Team verloren zu haben. Selbst in Rückstand coacht er so vorsichtig, als ob es nur noch um Schadensbegrenzung ginge, also ein Spiel nicht zu hoch zu verlieren anstatt noch an eine Wende zu glauben.

Was macht nun Robert Kraft? Trennt sich der stets wortkarge und medienscheue Besitzer der Patriots, dessen Vermögen von Forbes mit gut elf Milliarden Dollar veranschlagt wird, ein Jahr vor Ablauf des Vertrags von seinem starken Mann, der als Coach, Sportchef und General Manager in Personalunion für die dominanteste Phase des Teams verantwortlich ist?

Der Plan war wohl ein anderer. 18 Siege fehlten Belichick zu Beginn dieser Saison noch, um mit 337 Siegen in der Regular Season und den Playoffs zum Rekordhalter Don Shula aufzuschliessen, die letzte wichtige Bestmarke, die ihm noch fehlt. Danach hätte er mit allen Ehren in den Sonnenuntergang entschwinden können.

Zwei durchschnittliche Saisons mit jeweils 9:7 Siegen hätten dafür gereicht. Nun ist diese Aussicht aber in weite Ferne entschwunden, und der Zustand des Teams derart hoffnungslos, dass sich Kraft zum Handeln gezwungen sehen könnte. Dass Belichick freiwillig auf seine Chance - und einen Lohncheck von gegen 25 Millionen Dollar - verzichtet, scheint unwahrscheinlich.

Nicht mehr zeitgemäss

Der 71-Jährige aus Maryland mit kroatischen Wurzeln hat sein magische Aura verloren. Vielleicht ist seine strenge und kontrollierende Art auch einfach nicht mehr zeitgemäss. Belichick ist es nicht gelungen, einen Nachfolger für Star-Quarterback Tom Brady aufzubauen. Der von ihm in der ersten Runde des Drafts ausgesuchte Mac Jones wird von Jahr zu Jahr schlechter, auch sonst hatte er kein gutes Händchen bei Personalentscheiden.

So geht eine glorreiche Ära auf eher unwürdige Art zu Ende. Nie wurde das klarer als am Sonntag im Heimspiel gegen den aktuellen Super-Bowl-Champion Kansas City Chiefs. Der neue Superstar spielt jetzt dort (Patrick Mahomes), der charismatischste Coach steht bei den Chiefs an der Seitenlinie (Andy Reid) und Pop-Superstar Taylor Swift sorgt als Freundin von Kansas Citys Travis Kelce wie einst Supermodel Gisele Bündchen an der Seite von Tom Brady für den Glamour-Faktor.

«Kill Bill» nennen sie in Boston die Saga um die Demontage des legendären Coaches. Sollte er tatsächlich entlassen werden, wird es spannend sein zu sehen, ob es für das «alte Schlachtross» Belichick, der sich so gar nichts aus Glamour und einem guten Verhältnis zu den Medien macht, noch einen Interessenten gibt, bei dem er die fehlenden Siege für den Rekord holen kann.

Brady schlägt Belichick

Was Bill Belichick vielleicht am meisten ärgert: In der schon lange geführten Debatte ob der Coach oder der Quarterback der Hauptverantwortliche für die Dynastie mit sechs Meistertiteln und drei Finals von 2002 bis 2019 ist, schlägt das Pendel immer deutlicher zugunsten von Tom Brady aus.

Während New England seit der nicht sehr freundschaftlichen Trennung von Brady vor vier Jahren nur noch einmal die Playoffs erreichte und dort in der 1. Runde verlor, holte der Quarterback vor seinem Rücktritt mit Tampa Bay einen siebten Super-Bowl-Ring.

Quelle: sda
veröffentlicht: 20. Dezember 2023 05:00
aktualisiert: 20. Dezember 2023 05:00