Der Beste der Bundesliga ist jetzt auch die Schweizer Nummer 1
«Ich hätte gern ein Foto gemacht», sagt Goalietrainer Patrick Foletti, als er über den Moment spricht, in dem Gregor Kobel von ihm und Murat Yakin erfahren hat, dass er die Nummer 1 im Schweizer Tor wird. «Er hat gestrahlt wie ein Maikäfer.»
Vor mehr als sieben Jahre erhielt Kobel sein erstes Aufgebot für die A-Nationalmannschaft. Wie seither so oft verfolgte er das Länderspiel gegen Weissrussland im Juni 2017 vom Spielfeldrand. Nur gerademal 450 Minuten lang kam er in den letzten sieben Jahren als Backup von Yann Sommer zum Einsatz.
Es sei eine schwierige Zeit für Kobel gewesen, ist sich Murat Yakin bewusst. Wie sehr der Dortmunder Keeper unter der Hierarchie litt, zeigte sich am ausgeprägtesten im letzten Winter, als dessen Berater Philipp Degen öffentlich kritisierte, dass sich der Staff des Nationalteams frühzeitig auf Sommer als Nummer 1 für die EM festgelegt hatte.
Einige Monate später ist Kobel am Montag in Basel erstmals als Stammgoalie der Schweizer Nationalmannschaft eingerückt. Yann Sommer hat zwei Wochen zuvor seinen Rücktritt aus der Nati erklärt, wohl auch, weil er wusste, dass die Zeit der Ablösung bevorstand. «Der Zeitpunkt ist richtig», sagen sowohl Yakin als auch Foletti über beide Ereignisse.
Der Beste der Bundesliga
Es gehört zur Eigenheit des Postens, dass man als Goalie mit wenig Länderspiel-Erfahrung zur zentralen Figur einer Nationalmannschaft wird. Das war bei Diego Benaglio so und bei Yann Sommer nicht anders, die beide nur eine Handvoll Spiele für die Schweiz bestritten hatten, bevor sie die Nummer 1 wurden.
Ein Sprung ins Unbekannte wird der Einsatz von Kobel am Donnerstag in Kopenhagen natürlich trotzdem nicht - weder für den Goalie noch für die Trainer. Der fünffache Nationalspieler stand letzte Saison mit Dortmund im Final der Champions League, spielte zuvor schon für Hoffenheim, Augsburg und Stuttgart in der Bundesliga und ist seit seiner Juniorenzeit bei GC kontinuierlich zu «einem der besten Goalies der Welt» (Murat Yakin) geworden.
In einer Liga, in der es nicht an starken Torhütern mangelt, wurde Kobel die letzten zwei Jahre vom Fachmagazin «Kicker» jeweils zum Besten auf seiner Position gewählt. Er besitzt diese Aura, die Foletti hervorhebt. Kobel hat Einfluss auf drei Ebenen, die dem Coach wichtig sind: auf die eigene Mannschaft, auf den Gegner und auf das Stadion. Er ist einer, der dank seiner Qualitäten, des Gesamtpakets, ein Spiel entscheidend verändern kann. Das wissen die Mitspieler, die Gegner und das spüren die Zuschauer.
«Was er macht, ist gewaltig»
Der Einfluss, den er auf das Spiel ausüben kann, ist hart erarbeitet. «Ich habe sehr viel investiert, bereits seit meiner Kindheit», erzählte Kobel vor einigen Wochen im Interview mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. «Was er macht, ist gewaltig», bestätigt Foletti, der Kobel kennt, seit dieser elf war. «Er arbeitet täglich an seinen Schwachstellen. Er ist ein Riesenprofi.»
Es ist Foletti und Yakin in den Gesprächen anzumerken, dass sie nicht damit rechnen, dass die Schweiz auf dem Goalieposten schwächer wird als in den letzten Jahren. Im Gegenteil: Bei aller Wertschätzung für den Abgetretenen scheint vom Neuen noch etwas mehr erwartet zu werden. Vergleiche werden natürlich keine angestellt. Die einzige spezifische Stärke von Kobel, die Foletti hervorhebt, betrifft die langen Bälle, die Dortmunds Keeper gut beherrscht.
Locker bleiben
In die Lobeshymne von Yakin in Richtung Kobel mischen sich nur zwei kleine, fast zu überhörende Befürchtungen ein. Zum einen: «Wir hoffen, dass er gesund bleibt.» In den letzten zwei Spielzeiten verpasste Kobel 25 Spiele wegen schnell überstandenen körperlichen Beschwerden, zumeist Muskelverletzungen.
Zum anderen: «Wir hoffen, dass er sich nicht zu sehr versteift.» Die Erwartungen an Kobel sind hoch, die Fussstapfen von Yann Sommer gross und die Fallhöhe als Schweizer Nationalkeeper beachtlich. Mit Jonas Omlin und Yvon Mvogo wurden ihm zwei erfahrene Ersatzkeeper zur Seite gestellt, um beste Voraussetzungen zu schaffen, damit Kobel so schnell wie möglich das erreicht, was Foletti die vierte Ebene nennt: die Wirkung auf die ganze Nation.