Die YB-Niederlage in Manchester und ihre Nebenschauplätze
Er kommt, streckt die linke Handfläche entgegen, schüttelt den Kopf, und sagt «Sorry». Und dann ist er schon wieder weg. Als Sandro Lauper vom Garderobentrakt des Etihad Stadiums in Manchester Richtung Ausgang läuft, strecken sich ihm zahlreiche Mikrofone und Kameras entgegen. Nur zu gerne hätte man erfahren, was im Kopf des YB-Mittelfeldspielers vorgeht, wie er seinen Auftritt gegen Manchester City beurteilt - ein Auftritt, der für ihn nach 53 Minuten und der zweiten Gelben Karte frühzeitig zu Ende ging.
Begleitschutz für Lauper
Doch Lauper will nicht reden, und die Young Boys wollen wahrscheinlich auch nicht, dass der 27-Jährige redet, denn als Lauper die Medienzone passiert, tut er dies als Einziger mit dem Medienchef dicht an seiner Seite.
Dabei ist es schon eine spezielle Geschichte, in die der Stratege Einblick hätte gewähren können: Laut dem Fachportal «Transfermarkt.ch» bestritt der Konolfinger am Dienstag in Manchester seine 254. Partie in zehneinhalb Jahren. Bei anderen mit seinem Talent wären es wahrscheinlich deutlich mehr, doch Lauper wurde in seiner Karriere immer wieder von Verletzungen heimgesucht. Mehrmals kämpfte er sich von Kreuzbandrissen zurück und etablierte sich als verlässlicher, umsichtiger Organisator im Mittelfeld. Auch YB-Trainer Raphael Wicky schätzt die Qualitäten Laupers.
Doch das Bemerkenswerte an diesem kühlen Dienstagabend in Manchester ist für einmal nicht der Durchhaltewille oder die Resilienz Laupers, sondern eine kurios anmutende Statistik, die zeigt, dass der Mittelfeldspieler gerade eine spezielle Phase in seiner Karriere durchlebt. In 252 Partien als Fussballer wurde Sandro Lauper nie des Feldes verwiesen. Dann kam die Partie in Winterthur am letzten Samstag (4:1), als er nach einem groben Foulspiel nach einer Stunde die direkte Rote Karte erhielt. Und nun eben das Spiel in Manchester, wo er, wie seine Teamkollegen auch, mehrmals mit dem Tempo des amtierenden Champions-League-Siegers überfordert war, den Penalty zum ersten Gegentreffer verschuldete und zwei seiner Interventionen mit Gelb sanktioniert wurden.
Wickys Überlegung
Coach Wicky gibt zu, dass er sich überlegt habe, den bereits verwarnten Lauper in der Pause auszuwechseln. Der Walliser entschied sich dagegen, denn schliesslich könne er nicht nach jeder Verwarnung einen Spieler gleich auswechseln. «Aber leider war es in diesem Fall der falsche Entscheid, nicht zu reagieren.» Wicky ist bewusst, dass sein Team nicht aufgrund dieses Platzverweises verloren hat, doch das Ungleichgewicht auf dem Feld wurde für zehn Berner nicht einfacher zu kaschieren.
Und die Young Boys beraubten sich damit endgültig der Chance, in der Fremde so mutig aufzutreten, wie sie es vor zwei Wochen in Bern getan hatten und es Wicky auch in Manchester gern gesehen hätte. «Hier zu verlieren, ist keine Schande, aber wir sind enttäuscht, dass wir nicht das rausgeholt haben, was unsere Fähigkeiten wären», sagt er. Und fügt an: «Wir müssen nicht mit gesenktem Kopf abreisen. Wir haben gegen die beste Mannschaft der Welt 0:3 verloren, das passiert anderen Teams jedes Wochenende.»
Unvorteilhafte Signale
Trotz der Bemühungen, einen pragmatischen Blickwinkel einzunehmen und die Stärkeverhältnisse zwischen Manchester City und den Young Boys bei einer Nachbetrachtung und Einordnung nicht aus den Augen zu verlieren, passiert an diesem Abend etwas, das Wicky plötzlich in die Lage bringt, Fragen zur Einstellung und Professionalität seiner Spieler beantworten zu müssen. In der Pause tauscht YB-Captain Mohamed Ali Camara mit City-Starstürmer Erling Haaland das Trikot.
Was denn das für die Aussenwahrnehmung für ein Signal sende, wird Wicky gefragt, und ob die Spieler in so einer Partie denn mehr Fan als Profifussballer seien. Der YB-Trainer kontert mit einer Prise Humor und sagt, vielleicht habe ja Haaland Camara für den Tausch angefragt und nicht umgekehrt. Wicky versichert, das Gespräch mit dem Innenverteidiger aus Guinea zu suchen, ist aber überzeugt, dass derlei Episoden keinen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit seines Teams hätten.
Roter Stern Belgrad leicht im Vorteil
Dass aber überhaupt darüber gesprochen wird und Wicky vor der englischen Presse als Erstes dazu Stellung beziehen muss, zeigt einerseits, wie weit die Young Boys an diesem Abend davon entfernt waren, auf sportlicher Ebene für Gesprächsstoff zu sorgen. Andererseits suggeriert es eben doch, dass die Berner schon fokussierter, zielstrebiger, mutiger und erfolgshungriger ans Werk gegangen sind, wenn die Sterne der Champions League an ihrem Trikotärmel prangten.
Die Young Boys tun jedenfalls gut daran, diese Tugenden bei ihrem nächsten Auftritt in der Königsklasse in drei Wochen zuhause gegen Roter Stern Belgrad wieder an den Tag zu legen. Schliesslich geht es gegen die Serben, die aufgrund des besseren Torverhältnisses wohl auch mit einem Unentschieden leben könnten, in den letzten zwei Gruppenspielen um den Verbleib im Europacup.