Fabian Lustenberger ist auf europäischer Bühne wieder gefordert
Als die Young Boys im vergangenen Mai die Vertragsverlängerung mit Fabian Lustenberger um eine weitere Saison bekanntgeben, stehen Zeilen in der Medienmitteilung, die verblüffen. Sportchef Steve von Bergen wird zitiert: «Fabian wird auch in der kommenden Saison ein wichtiger Spieler sein, auch wenn sich abzeichnet, dass seine Einsatzminuten nicht steigen werden. Aber ihn bei YB und in der Kabine zu haben, verleiht dem Team Schwung.»
Zweifel in der Vorrunde
Lustenberger, der Captain, der 2019 nach zwölf Jahren bei Hertha Berlin als unumstrittener Führungsspieler und Identifikationsfigur nach Bern kam und seither mit den Young Boys drei Meistertitel und zwei Cupsiege feiern konnte, soll also vermehrt in die Rolle des Mentors schlüpfen. Etwa für junge Spieler wie den 20-jährigen Aurèle Amenda. Er soll seinen reichen Erfahrungsschatz in der Kabine weitergeben und ein wichtiger Ansprechpartner sein für diejenigen, die noch nicht auf 19 Jahre im Profifussball zurückblicken können. Auf dem Platz aber, das lässt sich ebenso herauslesen, sollen primär andere stehen.
Trotz der transparenten Kommunikation des Vereins - es ist eine Situation, die Lustenberger zusetzt. Als er in der ersten Saisonhälfte nur zu sieben Einsätzen kommt, vier davon über 90 Minuten, ertappt er sich manchmal bei den Gedanken, ob er nicht besser nach dem Double-Gewinn mit YB mit einem Highlight aufgehört hätte. Ob er sich dieses Fussballgeschäft auf höchster Spielstufe überhaupt noch antun wolle. Lustenberger kennt es genug gut, dieses Fussballgeschäft. Und so weiss der dreifache Familienvater auch, dass sich eine Ausgangslage von einem Moment auf den anderen schlagartig ändern kann.
In der Rückrunde kam der 35-Jährige in bisher fünf von sechs Partien in der Super League zum Einsatz. Erst vertrat er in der Innenverteidigung Mohamed Ali Camara, der am Afrika-Cup engagiert war, dann sprang er ein, nachdem sich Loris Benito in Lausanne einen Kreuzbandriss zugezogen hatte.
Lustenberger, der nie verhehlt hat, dass er sich mehr Einsatzzeit erhofft hätte, ist der Captain auf Abruf, der im Team der Young Boys gerade mehr gebraucht wird denn je - und zwar nicht nur in der Kabine, sondern vor allem in seinen Kernkompetenzen als Fussballer auf dem Platz.
Generationen-Duo in der Innenverteidigung
Eine schwierige Umstellung nach der unbefriedigenden ersten Saisonhälfte? «Nein, genau das will ich ja», sagt Lustenberger im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. «Ich kann nicht sagen, ich wolle mehr Spielzeit und dann nicht bereit sein, wenn es mich braucht. Ich glaube, ich konnte in den letzten Wochen zeigen, dass ich der Mannschaft helfen kann und freue mich über jede Minute, die ich auf dem Platz stehen kann.»
Lustenberger weiss, dass er am Donnerstag (21 Uhr) höchstwahrscheinlich auf dem Rasen des Estádio José Alvalade in Lissabon stehen wird. Da Abwehrchef Camara gesperrt fehlt, scheinen Lustenberger und Amenda die logischsten Optionen für die beiden Positionen in der Innenverteidigung für das Rückspiel der Sechzehntelfinals der Europa League gegen Sporting Lissabon.
Es ist ein Generationen-Duo, bei dem der eine auf das Ende seiner Karriere zusteuert und der andere mit seinem Wechsel im Sommer zu Eintracht Frankfurt einen nächsten Schritt wagt. Lustenberger bezeichnet Amenda als «Riesentalent, dem eine grosse Zukunft bevorsteht», und er meint, dass sie in ihren bisherigen gemeinsamen Einsätzen - wie im letzten Gruppenspiel der Champions League im Dezember gegen Leipzig (1:2) - gut harmoniert hätten. «Wir bereiten uns so vor, dass das auch am Donnerstag so sein wird.»
Auch wenn er das Hinspiel vor einer Woche im Berner Wankdorf von der Bank aus mitverfolgte, hat Lustenberger gesehen, welche Qualität Sporting Lissabon hat, und der Luzerner meint damit explizit nicht nur Viktor Gyökeres, den schwedischen Stürmer, der in 31 Einsätzen 28 Mal getroffen hat. «Sporting tritt aktuell mit einer beeindruckenden Selbstverständlichkeit und viel Selbstvertrauen an. Natürlich ist Gyökeres gefährlich, aber wir müssen die ganze Mannschaft stoppen, nicht nur ihn.» Und wie geht das? Lustenberger schmunzelt und sagt: «Wir werden uns sicher eine gute Taktik zurechtlegen.»
Auf dem Weg zum B-Diplom
Fabian Lustenberger ist an einem Punkt in seiner Karriere, an dem er weiss, dass er solche Spiele wie jenes in Lissabon nicht noch zigfach erleben wird. Sein 23. Auftritt in der Europa League könnte sein letzter sein in diesem Wettbewerb, sollte es den Young Boys nicht wie 2021 gelingen, ein favorisiertes Team auszuschalten - wie damals Bayer Leverkusen (4:3, 2:0).
Sein Vertrag bei den Young Boys läuft im Sommer aus, und der Spieler liess bereits vor der Saison durchblicken, dass diese Spielzeit seine letzte als Profi sein könnte. «Es ist noch nichts entschieden», sagt Lustenberger, der die Trainerausbildung in Angriff genommen hat und im August die Aufnahmeprüfung für das B-Diplom absolviert. Sollte er aufhören, wird er den Young Boys in anderer Funktion erhalten bleiben.
«Den perfekten Moment für einen Rücktritt gibt es sowieso nicht», sagt Lustenberger. «Es muss sich einfach richtig anfühlen.» Auch deshalb geht er nicht mit dem Gedanken einer persönlichen Abschiedstournee in Spiele wie jenes gegen Sporting Lissabon. Der Moment vom Karriereende komme dann noch früh genug. Und sowieso: Ausgeschieden sind die Young Boys trotz schwieriger Ausgangslage (1:3) nicht. Lustenberger sagt: «Vielleicht geht es ja noch weiter. Ich werde einfach jede Sekunde geniessen und alles geben.»