Lobotka orchestriert den slowakischen Aufstieg
Manchmal reichen Statistikblätter, um den Wert eines Spielers zu erkennen. Oder einige Videoszenen genügen, um die Fans in den Bann zu ziehen. Lobotka gehört zu keiner der beiden Sorten, weder ist er für die spektakulären Dribblings zuständig noch für die vielen Skorerpunkte. In den letzten beiden Saisons mit Napoli gelangen ihm ein Tor und zwei Assists.
Und doch: Als Xavi im März, damals noch Trainer des FC Barcelona, vor dem Duell der Katalanen in der Champions League gegen Napoli gefragt wurde, welchen Spieler er vom Gegner gern übernehmen würde, lautete die Antwort des früheren genialen spanischen Spielmachers: Stanislav Lobotka. Nicht der nigerianische Topskorer Victor Osimhen oder der georgische Dribbelkünstler Chwitscha Kwarazchelia.
In Italien erstaunte der Wunsch von Xavi nicht. Dort ist Lobotka längst als Spieler für den Unterschied identifiziert worden. In der Meistersaison von Napoli schaffte er es in das Team des Jahres und von Andrea Pirlo, der italienischen Variante von Xavi, erhielt er die Auszeichnung «bester Spielmacher der Serie A».
Zweimal «Player of the Match»
Die Erscheinung und die Worte von Lobotka erinnern dann eher den statistischen Werten: auffällig unauffällig. 170 Zentimeter klein, eine eher militärisch als modern anmutende Kurzhaarfrisur, keine sichtbaren Tattoos und Aussagen, die sich immer um das Kollektiv drehen. Seinen Worten nach befindet sich die Slowakei auf einer Mission, allen zu beweisen, dass die vielen kritischen Beobachter mit ihrer Meinung unrecht hatten.
«Wir haben es vielen Leuten gezeigt, die nicht an uns und die Taktik unseres Trainers geglaubt haben», sagte Lobotka nach dem 1:0-Überraschungssieg gegen Belgien und ergänzte ohne ein Schmunzeln: «Ich liebe es, wenn niemand an uns glaubt. Das ist der Moment, in dem jeder glänzen kann.» Man habe die Qualifikation für die Achtelfinals als geschlossene Mannschaft erreicht, sagte Lobotka einige Tage später und darauf sei er besonders stolz.
Zweimal - wie neben ihm in der EM-Vorrunde nur Granit Xhaka, N'Golo Kanté und Kevin de Bruyne - wurde Lobotka als «Player of the Match» ausgezeichnet. Im Zentrum des slowakischen Dreiermittelfelds ist er genauso zuständig für das Stoppen der generischen Angriffe wie für das Lancieren der eigenen Konter. Dabei brilliert er mit Pässen aller Art. In seiner Hand liegen die Fäden des Spiels der Slowaken, die gegen England ähnlich krasse Ausseneiter sind wie gegen Belgien.
Barcelona oder doch ein Engländer?
«Vom Spiel unseres Lebens», schwärmt Trainer Francesco Calzona mit Blick auf den Achtelfinal am Sonntag in Gelsenkirchen. Der Italiener kann mit viel Optimismus in das auf dem Papier ungleiche Duell gehen. Sein Team ist hervorragend auf das Turnier vorbereitet, womöglich auch, weil Calzona seinen wichtigsten Spieler so gut kennt. Der 55-Jährige war bei Napoli Co-Trainer, bevor er 2022 slowakischer Nationalcoach wurde und amtete seit Februar als Interimscoach der Süditaliener.
Lobotka ist seit viereinhalb Jahren bei Napoli unter Vertrag, seit ihn die Italiener für 20 Millionen Euro von Celta Vigo übernommen haben. Mit bald 30 Jahren steht der nächste Karriereschritt bevor. Der FC Barcelona war sich mit ihm schon fast einig, machte aber vorerst einen Rückzieher nach der Entlassung von Xavi. Ein Entscheid, den die Katalanen bereuen könnten, denn der Preis für den noch bis 2027 in Neapel unter Vertrag stehenden Spielmacher ist gestiegen. Und könnte weiter steigen, wenn Lobotka am Sonntag auch noch englische Klubs für sich begeistert.