Sich lohnende Investitionen
Als sich die Schweizer Männer für die Teamwettbewerbe an den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro und 2021 in Tokio qualifizierten, gehörten mit Pablo Brägger und Oliver Hegi zwei Ausnahmeturner zur Mannschaft. Sie gewannen insgesamt fünf Einzelmedaillen an Europameisterschaften - beide holten Gold am Reck - sowie Bronze mit dem Team 2016.
Insofern wog der Rücktritt der beiden schwer. Anfang September verletzte sich mit Benjamin Gischard der Captain des Schweizer Kunstturn-Kaders am Knie. Er hätte an der WM sämtliche sechs Geräte geturnt. Dass die Schweizer Männer trotz dieser Voraussetzungen in Antwerpen den Teamfinal erreichten und erneut als Mannschaft das Olympia-Ticket lösten, zeugt von der guten Arbeit, die hierzulande gemacht wurde.
Einiges gegangen
Eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Athletinnen und Athleten spielen die regionalen Leistungszentren (RLZ). «Es braucht auf jeder Ebene die richtigen Trainer. Ausserdem müssen das Umfeld und die Trainingsinfrastruktur stimmen», sagt David Huser, der Chef Spitzensport im Schweizerischen Turnverband, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Diesbezüglich ist in den letzten 20 Jahren einiges gegangen. Es entstanden mehr Leistungszentren und es gibt mehr professionelle Trainer. Auch auf Führungsebene der verschiedenen RLZ wurden die Strukturen verbessert. «Das ganze System ist gewachsen», so Huser. «Nichtsdestotrotz steht noch viel Arbeit vor uns.»
So werden neue Kaderstrukturen, Rahmentrainingspläne und Förderkonzepte implementiert. «Es ist unglaublich, was die Athleten leisten, dem wollen wir als Verband gerecht werden», sagt Huser. Seit dem Abgang das langjährigen Cheftrainers Benjamin Fluck im Juli 2020 ist mit Laurent Guelzec, Claudio Capelli, Sébastien Darrigade und Nils Haller ein vierköpfiges Trainerteam für die Männer verantwortlich. Einen Cheftrainer, der über allen steht, gibt es nicht mehr. Stattdessen haben alle Rollen erhalten, was sich bewährt hat.
Ziel mehr Daten
Damit sich die Trainer auf ihre Aufgaben in der Halle konzentrieren können, ist der Verband weiter daran, ein Team-Management aufzubauen. Mittlerweile sind zudem Physiotherapeuten fix in der Trainingshalle des Nationalkaders in Magglingen stationiert. «Bezüglich der ganzen Prävention haben wir einen riesigen Schritt vorwärts gemacht», sagt Huser. So können Verletzungen, die in einer solch trainingsintensiven Sportart unvermeidbar sind, minimiert werden.
Dann soll auch die Sportwissenschaft mehr einfliessen. Es wurden Sprungmessplatten angeschafft. «Wir brauchen mehr Daten, um mehr Entscheide auf wissenschaftlicher Basis treffen zu können», sagt Huser, um zugleich klarzustellen: «Es braucht auch Entscheide aus dem Bauch heraus, getroffen aus den langjährigen Erfahrungen. Am Schluss führt ein guter Mix zum bestmöglichen Resultat.»
Viele Faktoren entscheidend
Um am Tag X eine Topleistung abrufen zu können, sind ganz viele Puzzleteile entscheidend, zu denen auch das Mentale, die Ernährung, die Erholung (insbesondere der Schlaf) gehören. Auch deshalb sollen möglichst viele Daten gesammelt werden. «Jeder bringt gewisse Voraussetzungen mit sich. Es gilt herauszufinden, welche Faktoren für den jeweiligen Athleten die wichtigsten sind», sagt Huser. Ein Florian Langenegger beispielsweise verfüge trotz seiner erst 20 Jahre bereits über eine enorme mentale Stärke. «Das ist ein Talent von ihm.»
Apropos Mentales: Da will der Verband ebenfalls ein grösseres Augenmerk darauf legen, ist er mit der Abteilung Sportpsychologie in Magglingen daran, ein Konzept zu erarbeiten. Die Athletinnen und Athleten sollen schon früh befähigt werden, auch in diesem Bereich das Maximum herauszuholen.
Klar ist, dass all dies sehr viel Geld kostet. «Deshalb war dieses Resultat hier enorm wichtig», sagt Huser. «Es zeigt, dass sich die Investitionen lohnen.» Die Basis für weitere Erfolge ist auf jeden Fall gelegt.