Stefan Küng gelingt der langersehnte grosse Wurf
Stefan Küng hat das Strahlen wieder gefunden. Nach schwierigen Monaten mit vielen gesundheitlichen Rückschlägen ist dem Thurgauer mit dem überlegenen Sieg im Schlusszeitfahren der 79. Spanien-Rundfahrt eine Art Befreiungsschlag gelungen.
Noch vor Monatsfrist war Küng nicht in der Lage, sein grosses Ziel in diesem Jahr, den Gewinn einer Olympia-Medaille, zu verwirklichen. Statt mit Edelmetall kehrte er mit zwei Diplomen aus Paris zurück - um sich anschliessend Gedanken über den weiter Saisonverlauf zu machen. Darüber, wie er ein Jahr mit vielen Highlights und wenigen persönlichen Erfolgserlebnissen, für ihn doch noch zu einem erfolgreichen machen könnte.
Diesmal keine Frage von Hundertsteln
Küng entschied sich kurzerhand, zum ersten Mal an der Vuelta teilzunehmen. Er wählte die dritte und letzte Grand Tour des Jahr mit den vielen happigen Bergetappen nicht etwa, um sich für die Heim-WM in Form zu bringen, sondern mit dem klaren Ziel, einen Etappensieg zu erobern. Diesen verpasste Küng im Auftaktzeitfahren in Lissabon als Vierter noch knapp. Nur sechs Sekunden fehlten ihm zur Eroberung des roten Leadertrikots.
Etwas mehr als drei Wochen, 3280 km und 60'000 Höhenmeter später schaffte es Küng tatsächlich, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Gleich um 31 Sekunden und mehr distanzierte er im abschliessenden Zeitfahren über 24,6 km in Madrid die Konkurrenz. So nahe er immer wieder an einem Sieg in einem grossen Rennen dran war, so klar fiel diesmal das Verdikt zu seinen Gunsten aus.
Beharrlichkeit zahlt sich aus
Es gibt in der Radszene kaum jemand, der ihm diesen Sieg nicht gönnt. «Alle haben immer gesagt: ‹Mach dir keine Sorgen, irgendwann klappt es›», erzählt Küng, dem die Erleichterung anzumerken war.
Als er 2017 seine erste Tour de France bestritt, war Küng bereits einmal ganz nahe am Coup. Im Auftaktzeitfahren in Düsseldorf musste er sich einzig Geraint Thomas (um fünf Sekunden) geschlagen geben.
Küng den Stempel des «ewigen Zweiten» aufzudrücken, wäre falsch, dafür hat der erfolgreichste aktive Schweizer Radprofi in seiner Karriere zu oft reüssiert (dies war sein 29. Sieg als Profi). Trotzdem war das Hundertstel- oder Sekunden-Glück in bedeuteten Rennen oftmals nicht auf seiner Seite, stellvertretend dafür stehen das olympische Zeitfahren in Tokio, als er das Podest um lumpige vier Zehntel verpasste.
Mit Rückenwind in den Herbst
Sein erster Saisonsieg auf internationalem Parkett ist für den Schweizer Zeitfahr-Meister auch einer für die Moral. Der WM-Zweite von 2022 hat in der Vergangenheit immer wieder betont, wie wichtig es gerade in seiner Paradedisziplin ist, ein gutes Gefühl zu haben. Dies hat sich der Ostschweizer nun geholt, nicht nur mit seinem Auftritt am Sonntag.
Auch sonst zeigte er sich während den letzten Wochen in Spanien angriffig, spurtete teils sogar bei den Massensprint-Ankünften ganz vorne mit. In der ersten Woche wurde er einmal Vierter und Fünfter. «Ich habe mich die ganze Vuelta durch gut gefühlt», meint Küng. «Mit diesem Sieg kann ich dem Team und all den Leuten, die dazu beigetragen haben, etwas zurückzahlen.»
Nach einem Sommer ohne Glanzpunkte steht Küng möglicherweise vor einem goldenen Herbst. Am Mittwoch beginnt in der belgischen Provinz Limburg die EM, ab dem 22. September wird in Zürich um die WM-Medaillen gefahren.