«Wir dürfen nie vergessen, woher wir kommen»
Vor der Abreise am Montag nimmt sich Headcoach Patrick Fischer Zeit für ein Interview mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA, in dem er auf die WM zurückblickt, über die Entwicklung im Schweizer Eishockey und das aktuelle Aufgebot spricht.
Patrick Fischer, vor einem Jahr mussten Sie eine weitere Enttäuschung erklären. Dann haben Sie es den Kritikern mit der WM-Silbermedaille gezeigt. Wie gross ist die Genugtuung?
«Ich bin einfach sehr froh, dass es so herausgekommen ist. Wir hatten zuletzt Mühe damit, unsere Leistung dann abzurufen, wenn es zählt. Diesem Problem nahmen wir uns an. Deshalb holten wir den Performance Coach Stefan Schwitter, der uns dabei unterstützte, stets im Moment zu bleiben. Dieses Thema beschäftigte uns die gesamte Saison. Wir übten Druck aus auf die Spieler, dieser stieg dann aufgrund der Niederlagenserie weiter an. Umso dankbarer bin ich, dass wir im Viertelfinal gegen Deutschland bewiesen haben, dass wir es können. Auch im Halbfinal und Final riefen wir unser Potenzial ab. Das tat gut.»
Hand aufs Herz. Wie gross war der Druck, den Sie selber verspürten?
«Es war kein Geheimnis, dass es wahrscheinlich das Ende für mich gewesen wäre, wenn uns keine gute Kampagne gelungen wäre. Nichtsdestotrotz bremste mich der Druck nicht und es war nicht so, dass ich nicht mehr schlafen konnte. Ein grosses Kompliment an meine Partnerin und mein nächstes Umfeld, sie halfen mir enorm. Nach dem Sieg im Viertelfinal fiel dann allerdings eine grosse Last von mir ab, ich war enorm erleichtert.»
WM-Silber ist selbstredend ein grosser Erfolg. Es fehlte jedoch sehr wenig zum Titel. Wie lange hat Sie das beschäftigt?
«Es tat extrem weh und hallte lange nach. Ich durfte noch nie eine Mannschaft coachen, die einen solchen Spirit hatte. Roman (Josi) war ein unglaublicher Captain. Jeder stellte sich in den Dienst der Mannschaft, es gab keinen Neid. Das machte es so speziell. Wir fühlten uns bereit für den Titel. Viele erhalten diese Chance vielleicht nie oder länger nicht mehr. Die grosse Enttäuschung war beim Heimflug zu spüren. Es war kein Vergleich zu den Finalniederlagen 2013 und 2018. Es gilt nun, den Schwung mitzunehmen und uns weiter zu steigern, denn es braucht noch mehr.»
Apropos, es braucht noch mehr. Was ergab die nach der Saison erfolgte Analyse?
«Das Positive war, dass wir schon vor der vergangenen Saison auf viel Gutem aufbauen konnten. Das Gerüst mussten wir nicht verändern, wir wussten, dass wir an der WM erfolgreich sein können. Nun gelang es uns auch noch, uns auf den Moment zu fokussieren. Das ist das A und O. Der nächste Schritt ist, auch unter der Saison regelmässig zu gewinnen. Wir wollen weiterhin den Rhythmus in einer Partie vorgeben, müssen jedoch wieder rascher umschalten, wenn das möglich ist. Ein weiterer Punkt ist die Regeneration. Die Statistik besagt, dass zu 80 Prozent jenes Team den Final gewinnt, das den Halbfinal am Samstagnachmittag bestritten hat. Wir müssen uns also Gedanken machen, was wir noch optimieren können, um auch dann zu reüssieren, wenn wir am Abend antreten.»
Skorermässig war die Mannschaft an der WM enorm abhängig von den NHL-Spielern.
«Das sind die anderen Teams auch. Tschechien hatte dieses Jahr fast alle Topspieler dabei, Schweden, Kanada und die USA traten ebenfalls mit einer sehr starken Mannschaft an. Dann braucht es diese Extra-Qualität.»
Nino Niederreiter hat trotz des Erfolgs gewarnt, ihm macht Sorgen, dass es an Talenten fehlt, die Druck auf die Etablierten ausüben. So stellte die Schweiz das zweitälteste Team der letzten WM. Niederreiter sagte in einem Interview unter anderem, er habe das Gefühl, dass sie gar nicht so gut seien, wie sie meinen würden. Wie sehen Sie das?
«Es ist schon länger ein Thema, wie wir die jüngeren Spieler besser ausbilden können, wie wir sie in die Liga bringen, wie sie dort wichtige Eiszeit erhalten. Wir müssen daran arbeiten, dass wir wieder die absoluten Top-Shots, jene Spieler, die es direkt in die NHL schaffen, hervorbringen. Dies ist uns in den letzten Jahren nicht wunschgemäss gelungen. Da setzten wir vom Verband zusammen mit den Vereinen den Hebel an. Es gibt nur einen Weg: eine noch bessere Betreuung, noch mehr professionelle Coaches im Nachwuchs, noch bessere Strukturen. Das erhöht die Chancen, gute Spieler zu entwickeln.»
Ist das Hauptproblem, dass auf den untersten Stufen, im so genannten goldenen Lernalter, zu wenig Know-how vorhanden ist, die Klubs zu wenig bereit sind, dort Geld zu investieren?
«Das ist ein grosses Thema. Wir dürfen jedoch nie vergessen, woher wir kommen. 1997 waren wir in der B-Gruppe Dritter. Seither ist einiges gegangen. Es wurde langsam mehr Geld investiert, da war Ralph Krueger (Nationaltrainer von 1998 bis 2010 - Red.) ein grosser Treiber. Bevor ich das Amt als Nationalcoach übernahm (Ende 2015) war ich Trainerassistent bei Lugano, das damals schon eine Top-Adresse war. Dennoch hatten wir keinen Torhüter-, keinen Athletik- und keinen Video-Coach. Von der Situation im Nachwuchs wollen wir gar nicht sprechen. Das war etwa vor zwölf Jahren.»
Und nun?
«Nun sieht es nicht nur in Lugano ganz anders aus, es gibt auch im Nachwuchs diverse professionelle Trainer, einfach auf den Stufen U15 bis U20. Eine positive Entwicklung ist also vorhanden, wir haben diesbezüglich aber noch einen Rückstand auf die Top-Nationen. So sind die Qualität und Quantität der Trainer auf den untersten Stufen noch nicht zufriedenstellend. In Schweden beispielsweise stehen fünf, sechs Trainer auf dem Eis, folgerichtig bringen sie mehr gute Spieler heraus. Die Richtung in der Schweiz stimmt, und das ist das, was man sehen muss. Es ist eigentlich unglaublich, was in den letzten 25, 30 Jahren hierzulande im Eishockey im positiven Sinn passiert ist.»
Zurück zum Nationalteam. Sie haben es bereits angetönt, in der vergangenen Saison gingen elf der zwölf Partien in der Euro Hockey Tour verloren. Was gibt Ihnen Zuversicht, dass es diesmal anders herauskommt?
«In der letzten Saison war unser Problem das Toreschiessen. Zuversichtlich stimmt mich, dass wir am Wachsen sind. Das Ziel in dieser Saison ist, die Resultate ausgeglichen zu gestalten, denn wir sind auf Augenhöhe mit den Top-Nationen.»
Im Aufgebot für den Karjala Cup figuriert der 41-jährige Andres Ambühl. Warum geben Sie nicht einem jüngeren Spieler mehr die Chance, Erfahrungen auf diesem Niveau zu sammeln?
«Es gilt das Leistungsprinzip. Ambühl hat auch an der diesjährigen WM wieder gezeigt, wie wichtig er ist. Zwar läuft es ihm aktuell noch nicht nach Wunsch mit Davos, dennoch hat er sich wie auch andere WM-Teilnehmer ein weiteres Aufgebot verdient.»
Mit Nicolas Baechler und Giancarlo Chanton berücksichtigten Sie zwei Neulinge. Was können Sie zu ihnen sagen?
«Mir gefällt bei beiden die Entwicklung. Chanton ist körperlich stark und ein guter Läufer, am Puck ist er sehr ruhig. Wir brauchen Spieler, die physisch dagegenhalten können auf diesem Niveau. Das ist auch bei «Bächi» der Fall. Er ist stark, robust und ein guter Teamplayer. Schon im Prospect Camp gefiel er mir. Nun ist der Moment gekommen, sie zu belohnen.»
2026 findet die WM in der Schweiz statt. Inwiefern spielt das schon für diese Saison eine Rolle?
«Es gab schon nach den Olympischen Spielen 2022 eine Phase, in der wir das Team verjüngt haben, und zwar auf der rechten Verteidiger-Position, auf der damals Yannick Weber, Raphael Diaz und Ramon Untersander spielten. Davon profitieren wir nun. Wir werden aber sicherlich nicht einfach Spieler nominieren, nur weil sie jünger sind, sie müssen schon das nötige Niveau haben. Aber wenn zwei ähnlich gut sind, dann macht es im Hinblick auf die Zukunft natürlich mehr Sinn, auf den jüngeren Spieler zu setzen. Unser Ziel ist es, die nächste Generation schrittweise an die A-Nati heranzuführen und ihnen im Rahmen der EHT-Turniere viel internationale Eiszeit zu gewähren.»