«Wir funktionieren in vielen Dingen ganz anders»
Beton statt Palmen heisst es für Anouk und Zoé Vergé-Dépré, die sich in einem Industriequartier am Rande Berns den letzten Schliff für die Titelkämpfe in Adelaide holen. Dort feilen die Beachvolleyballerinnen an Aufschlag, Timing und Abstimmung. «Technisch und physisch sind sie bereit», sagt Trainer Denis Milanez, der an eine historische WM-Medaille glaubt. «Sie haben in dieser Saison gezeigt, dass alles möglich ist.»
Zwei Podestplätze an Elite-Turnieren stehen für die Schwestern zu Buche, oft war jedoch im Viertelfinal Endstation. Die 33-jährige Anouk und ihre sechs Jahre jüngere Schwester Zoé sehen sich dennoch auf einem guten Weg. Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA erklären sie, wie sie ihr erstes gemeinsames Jahr auf der Tour erlebt haben.
Ist es möglich, zu einer bestimmten Zeit die Bestform zu erreichen, oder spielt der Rhythmus eine wichtigere Rolle?
Zoé: «Wenn die Saison so lange dauert wie bei uns, kann kaum jemand konstant am Limit spielen. Deshalb glaube ich, dass man sich gezielt so vorbereiten kann, dass man bei einem bestimmten Turnier noch etwas mehr aus sich herausholt.»
Anouk: «Wir reisen viel und spielen unter sehr unterschiedlichen Bedingungen. Körper und Kopf verarbeiten das nicht immer gleich gut. Darum haben wir diese Saison bewusst eine Pause eingelegt, was eigentlich unüblich ist.»
Im Hinblick auf die anstehende WM?
Anouk: «Genau. Wir sind seit Anfang März dran, das ist eine lange Zeit. Deshalb mussten wir priorisieren. An der EM haben wir sicher den Preis für die Pause bezahlt, aber sie war notwendig. Sonst hätte die Energie nicht bis Ende Jahr gereicht. Wir wollten nicht nur in guter Form an die WM reisen, sondern dort nochmals eine Schippe drauflegen.»
Ihre Zielsetzung ist entsprechend offensiv: Sie haben gesagt, Sie wollen eine Medaille gewinnen.
Zoé: «Ja, das sind wir uns schuldig, nach all dem Aufwand in der Vorbereitung. Es wäre falsch zu sagen: ‹Ich bin einfach froh, dabei zu sein.› Wir wollen dorthin, um zu gewinnen. In der Schweizer Sportwelt dürfte man ruhig etwas mutiger sein und sich hohe Ziele setzen. Auch wenn man kein Favorit ist, sollte man sich den Erfolg visualisieren und daran glauben, ihn erreichen zu können.»
Das wäre ein riesiger Erfolg. Noch nie hat ein Schweizer Frauen-Duo eine WM-Medaille gewonnen.
Anouk: «Dass wir uns ein hohes Ziel setzen, heisst nicht, dass wir die Schwierigkeit unterschätzen. Über neun Tage konstant zu performen, ist eine grosse Herausforderung. Es muss alles zusammenpassen. Aber wenn man nicht an den Erfolg glaubt, wird er auch nicht eintreten.»
Was verbinden Sie mit dem Austragungsort Adelaide in Australien?
Anouk: «Wir waren noch nie in Australien.»
Zoé: «Genau, eine Premiere, ich bin gespannt. Unsere Eltern werden dabei sein, was für uns auch neu ist. Schon bevor wir uns als Team zusammengetan haben, war das nur an einer WM der Fall.»
Welchen Einfluss hat es auf die Vorbereitung, dass Sie die Bedingungen dort nicht genau kennen?
Anouk: «Das sind wir gewohnt. Wir hatten auch dieses Jahr viele neue Destinationen...»
Zoé: «...und oft hat das Wetter verrückt gespielt.»
Anouk: «Dieses ständige Anpassen an die Verhältnisse gehört zur Kunst unseres Sports. In Australien spielt natürlich auch der Jetlag eine Rolle, darum haben wir genau überlegt, wann wir anreisen.»
Wie haben Sie sich entschieden?
Anouk: «Wir reisen eine Woche vorher an und haben vier Trainingstage vor Ort, was für diese Distanz nicht viel ist. Wir haben gemerkt, dass es für uns besser ist, nicht zu früh anzureisen. Bei längeren Vorbereitungen haben die Kräfte gegen Ende des Turniers jeweils nachgelassen.»
Nach Australien haben Sie Ihr erstes gemeinsames Jahr als Team hinter sich. Was waren Ihre grössten Erkenntnisse?
Zoé: «Wie unterschiedlich wir sind. Wir wurden oft verglichen, und ich dachte auch immer, wir seien ähnlich. Aber wir funktionieren in vielen Dingen ganz anders.»
Anouk: «Ausser, dass wir beide keine Morgenmenschen sind.»
Zoé: «Stimmt. Abseits des Platzes sind wir uns ähnlicher - wie wir Zeit verbringen und was uns Energie gibt. Trotzdem haben wir auch neue Seiten aneinander entdeckt.»
In spielerischer Hinsicht oder auch persönlich?
Anouk: «Beides. Zusammenzuarbeiten ist etwas anderes, als gemeinsam am Familientisch zu sitzen. Jetzt sehen wir, wie die andere mit Druck, Stress und körperlicher Belastung umgeht. Wir haben viel übereinander gelernt und auch unsere Kommunikation angepasst.»
Wie meinen Sie das?
Anouk: «Wenn mir etwas nicht passt, bin ich eher die, die den Ärger rauslassen muss. Und Zoé zieht sich eher zurück. Beides hat Vor- und Nachteile. Wir mussten lernen, wie wir uns in schwierigen Situationen gegenseitig abholen.»
Gab es Dinge, die Sie überrascht haben?
Zoé: «Wie schnell wir auf ein gutes Level gekommen sind. Vieles war neu, weil wir in den Teams davor die gleiche Position hatten. Schon allein das Oben-Zuspiel mussten wir neu üben. Es hätte auch sein können, dass wir im ersten Spiel dauernd abgepfiffen werden und wir wieder aufs Unten-Zuspiel wechseln. Aber das war schnell kein Thema mehr. Wir sind noch nicht da, wo wir sein wollen, aber wir kommen rasch voran und unser Commitment ist da.»
Anouk: «Anfangs hatten wir Respekt davor, dass zwischen uns etwas kaputtgehen könnte, weil wir uns auch mal die Meinung sagen müssen. Diese direkte Kommunikation kann hart sein. Zu merken, dass unser Verhältnis darunter nicht leidet, war schön. Wir können gut unterscheiden: Das ist jetzt eine intensive Phase - und unsere Schwesternbeziehung geht darüber hinaus.»
Der 3. Platz in Gstaad dürfte der bisherige Höhepunkt gewesen sein.
Zoé: «Definitiv. Jeder auf der Tour möchte einmal eine solche Glocke gewinnen - als Schweizer Duo umso mehr. Das war ein wunderschöner Moment, gerade weil es so früh in unserer Partnerschaft kam. Wir hatten das nicht unbedingt erwartet. Aber auch dort haben wir vorher klar gesagt: Wir wollen aufs Podest. Das hat gezeigt, was mit der richtigen Einstellung möglich ist.»